800607_6. IWBG Darmstadt - Der Schmutz
6. IWBG Darmstadt - Der Schmutz
06.06.1980, 12:00 Uhr - 07.06.1980, 18:00 Uhr
Das 6. Darmstädter Werkbundgespräch in der neuen Veranstaltungsreihe PRODUKT UND ALLTAG befaßt sich mit einem der wichtigsten Elemente unseres Alltags: mit dem Schmutz. Der Schmutz ist Anlaß von Tätigkeiten, (z.B. dem Reinigen), Anschaffungen (z.B. Staubsauger) und von Verschleiß, deren designerische Komponente von der Form der Reinigungsgeräte bis zur tiefenpsychologisch kalkulierten, verbrauchsfördernden Aufmachung der Spülmittelflasche reicht. Im größeren Rahmen trägt Schmutzbeseitigung zur Umweltverschmutzung bei, oder, um es gleich deutlich zu sagen, ist ein Teil der Umweltverschmutzung direkte Folge von Reinlichkeitsritualen (z.B. Waschmittel als Element der Wasserverunreinigung). Je schneller die „Umsatzgeschwindigkeit“ im Konsumkreislauf, je höher der Verbrauch von natürlichen und künstlichen Gütern, je größer der zum Teil planvoll eingebaute Verschleiß, desto eher werden die Dinge entwertet und zu Abfall. Abluft, Abwasser, Kehricht, alles muß irgendwohin, und nichts davon bringt man aus der Welt; vieles davon nicht einmal aus der Wohnung.
Was ist Schmutz? Ekeln sich alle vor den selben Dingen? Aus welchen psychologischen Tiefenschichten entspringt die allgemeine Wegwerfmentalität? War Schmutz zu allen Zeiten dasselbe? Seit der Entdeckung Mikroben rechtfertigt man Reinlichkeit mit Hygiene. Inzwischen sind die Mikroben resistent geworden, dagegen entdeckt man andere Schadstoffe, die oft um so gefährlicher sind, je weniger man sie sieht. Wird das eine Änderung unseres Reinlichkeitsgefühls und unserer Verbrauchs-Gebrauchsgewohnheiten bewirken? Werden wir lernen, den unsichtbaren Schmutz, die Radioaktivität, die chemische Vergiftung u.s.w. als den wahren Schmutz zu begreifen?
Durch die fortschreitende „De-naturierung“ unseres Lebens (Klimaanlagen, steril verpackte Lebensmittel, Synthetische Kleidungsstoffe u.ä.m.) scheint uns das Natürliche als störend. Wo immer möglich, soll der natürliche Schmutz (Schorfflecken auf Äpfeln, Vergilbung der Wäsche etc.) beseitigt werden, was mit weniger natürlichen Mitteln (Biozide, künstliche Aufheller u.s.w.) erfolgt. Weniger Dreck haben wir aus diesem Grund nicht - nur sehen wir ihn weniger; d.h. wir haben den natürlichen, sichtbaren Schmutz durch unsichtbaren ersetzt. Weil wir diesen „modernen“, heimlich-unheimlichen Schmutz nicht sehen können, stört er uns nicht und die Beeinträchtigung der Umwelt, der Gesundheit und der Gesellschaft darf ungeachtet weitergehen nach dem Motto: „out of sight - out of mind“
Eine erste Gruppe von Referenten wird sich mit diesen gesellschaftllichen Aspekten des Schmutzes befassen: Schmutz als Konvention, Schmutz als Zeichen. Schmutzig ist, was die Gesellschaft ausschließt, haßt, neidet, oder heimlich begehrt: Schmutzig sind die Betten der Huren, die Haare der Halbwüchsigen; Schmutz und Schund wollen alle Führer und Verführer aus dem Gesellschaftsleben austilgen. Darauf folgt der Hauptteil der Referate, die sich mit der materiellen Seite des Schmutzes und mit dem Erfolg der Reinigung befassen: Sterben die Bakterien, fliehen die Hausmilben, bringen wir den Staub aus dem Haus? Oder gaukeln uns die blitzenden Staubsauger und die schäumenden Laugen eine Wirkung vor, die der Illusion des Desodorant gleichkommt? Und: Ist die von der Reinigungsindustrie versprochene Sauberkeit überhaupt notwendig? Sollten wir nicht selber und neu bestimmen, was Schmutz ist?
Ein letzter Teil der Referate befaßt sich mit dem Verhältnis von Ästhetik und Schmutz, Entstehung und Verfall von Werten. Alter, Gebrauchsspuren und Schmutz entwerten die Güter, obwohl sie deren Nutzen nicht beeinträchtigen. Ein schon einmal gehandelter Gegenstand ist im Wiederverkauf nur noch die
Hälfte wert, weil „zweiter Hand“. Dieser imaginäre Schmutz entwertet Wohnungen, verslumt ganze Stadtquartiere, bis die Ratten dann wirklich kommen - oder der Denkmalpfleger. Wer bestimmt was Schmutz ist und was ehrwürdiges Alter?
Müssen wir zwangsläufig hinnehmen, daß die Gegenstände durch permanente Gestaltänderung - sprich Design - in mehr oder minder kurzer Zeit ent-wertet und damit zu Ab-fall gemacht werden? Und wie sind die gegenläufigen Phänomene zu beurteilen, wenn alte, bereits weggeworfene Dinge wieder auf-gewertet und neu gebraucht werden? (Sperrmüll und Flohmarktkultur). In den Schlußreferaten wird die Rolle der Kunst untersucht, die zum Teil bewußt mit Schmutz und Abfallelementen arbeitet und aus dem Verrotteten und achtlos beiseite geworfenen neue sinnliche Reizmomente hervorholt.